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SolidaritÀt ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Jeannie Schneider
17.03.2020

Forderungen nach gesellschaftlicher SolidaritÀt ziehen sich durch die Medienlandschaft. Forderungen nach Policies, die diese SolidaritÀt institutionalisieren fehlen bis jetzt. Ein Grundeinkommen ist die Impfung gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise.

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Seit gestern sind die Schulen in der ganzen Schweiz1 geschlossen. Viele dislozieren ihr BĂŒro an den heimischen Schreibtisch und alle sind dazu angehalten, sich solidarisch mit den Risikogruppen, also Menschen ab 65 Jahren und chronisch Erkrankten zu zeigen. Das bedeutet: HĂ€nde waschen und die Anderen auf eine ArmlĂ€nge Abstand halten. Seit heute Nachmittag gilt es ernst: Bars, Restaurants, Museen, Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe - alles zu2. Ob das ausreichen wird, um dem sprunghaften Anstieg der Verbreitung des Virus entgegenzuhalten, wird sich zeigen. Entscheidend dafĂŒr ist, ob die Bevölkerung sich an die Massnahmen - das heisst den Ellbogen vor den Mund - hĂ€lt.

Auch wenn ein Grossteil der Bevölkerung mit einem relativ geringen Risiko konfrontiert ist, ernsthaft zu erkranken, können die unmittelbaren Konsequenzen des Covid-19-Virus ziemlich schwerwiegende Folgen haben: Steigt die Zahl der Ansteckungen weiterhin so sprunghaft an, von gestern auf heute wurden 800 FĂ€lle mehr3 bestĂ€tigt - von insgesamt 2200, sind SpitĂ€ler und Pflegepersonal bald ĂŒberlastet. Mangelnde Versorgung erhöht nicht nur die Gefahr fĂŒr die Risikopatient*innen drastisch, an der Krankheit zu sterben. Ein ĂŒberlastetes Spital kann auch fĂŒr all die anderen NotfĂ€lle und Patient*innen keine genĂŒgende gesundheitliche Versorgung mehr zur VerfĂŒgung stellen. Es zieht sich also eine Frage wie ein roter Faden ĂŒber die TitelblĂ€tter: Sind wir noch zu gesamtgesellschaftlicher SolidaritĂ€t fĂ€hig?

BĂŒrgerinneninitiativen werden ins Leben gerufen, auf den sozialen Netzwerken wird das EinkĂ€ufe-Erledigen alten Menschen angeboten und fĂŒr die Kinder derjenigen, die nicht von zuhause aus arbeiten können, werden ad-hoc Horte eingerichtet. Wie lange Letzteres noch nötig sein wird, wird sich zeigen. Denn nicht nur die Folgen der Krankheit können schwerwiegend sein, sondern auch die der QuarantĂ€ne4: Was bedeutet es, wenn fĂŒr sechs Wochen kein Museum mehr geöffnet ist, kein Konzert mehr spielt und langsam aber sicher keinem mehr nach Bier und Bar zumute ist?

Die Gastronomie, die oft mit Stundenlohn funktioniert, steht seit dem Lockdown still. Schnupperlehren werden abgesagt. Am Flughafen gab es bereits Entlassungen. Performative KĂŒnstler*innen verlieren ihr Einkommen ebenfalls bis auf weiteres. Kurzum: FĂŒr alle, die ihre Arbeit nicht einfach von irgendeinem Schreibtisch aus machen können, bedeutet Corona eine Gefahr fĂŒr ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage. Gerade SelbstĂ€ndige und KMUs trifft es also besonders hart. Der Bund stellt 10 Milliarden Soforthilfe5 bereit, die diese wirtschaftlichen Konsequenzen abfedern sollen. Guy Parmelin dazu auf SRF6: “Wir sind fest entschlossen, die Wirtschaft in dieser besonderen Lage zu unterstĂŒtzen.” Wie dieses Geld verteilt wird, ist bis anhin noch nicht abschliessend geregelt - ob es genug ist, gerade um tendenziell prekĂ€ren Lebensmodellen wie diejenigen in der Gastronomie oder in der Kunst zu helfen ist noch offen, oder ob diese Gelder ĂŒberhaupt den Weg dorthin finden. Können die betroffenen Menschen ĂŒberhaupt mit “der Wirtschaft” gleichgesetzt werden? Die drohende finanzielle Unsicherheit ist nicht nur ein Problem fĂŒr die Betroffenen, es stellt auch eine ernsthafte Gefahr fĂŒr die Umsetzung der PrĂ€ventionsstrategie dar: wer existenziell auf jede Schicht angewiesen ist, der oder die geht arbeiten, auch mit Husten.

UnzĂ€hlige SelbstĂ€ndige und KMUs können, trotz voller Auslastung, keine RĂŒcklagen bilden, die zwei Monate Einkommensausfall ausgleichen. Gleichzeitig nehmen Kurzarbeit und Arbeitsmodelle, die auf dem Gig-Economy Modell aufgebaut sind, zu. Und wĂ€hrend alle die Gesellschaft mit mahnenden Worten dazu anhalten, doch den Hund der betagten Rentnerin spazieren zu fĂŒhren, baut der Schweizer Staat die Sozialleistungen weiter ab. Es werden also ĂŒberall die Aufforderungen nach zivilgesellschaftlicher SolidaritĂ€t unĂŒberhörbar, aber die diejenigen nach institutionalisierter SolidaritĂ€t bleiben aus.

Warum widerspiegeln unsere Politiken nicht diejenigen Werte, die wir angehalten sind zivilgesellschaftlich umzusetzen? Warum sind Gleichheit, Freiheit und Sicherheit, und vor allem SolidaritÀt nur demokratische GrundsÀtze, die sich kaum in den Policies, die unsere LebensrealitÀt formen, niederschlagen?

Auch wenn zivilgesellschaftliche Lösungen fĂŒr viele Menschen viel bedeuten, braucht es mehr. Es braucht Policies, die SolidaritĂ€t im Alltag fĂŒr alle erfahrbar machen. Policies, die allen finanzielle Sicherheit garantieren und nicht erst dann, wenn man durch alle anderen Netze gefallen ist. Und es braucht Policies, die nicht nur rechtliche Gleichheit festschreiben, sondern auch ansatzweise gleiche Möglichkeiten realisieren:

Es braucht ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Vorweg: So hoch wie die Chancen auf gesamtgesellschaftliche Verbesserungen dieser Policy sind, so entscheidend ist auch ihr Design. Wenn ein Bedingungsloses Grundeinkommen fĂŒr SozialhilfebezĂŒger*innen unter dem Strich zu weniger finanziellen Ressourcen fĂŒhrt, ist das Grundeinkommen an der AusfĂŒhrung gescheitert.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen, dessen Design der Idee auch wirklich dienlich ist, wĂŒrde nicht nur die mittelbaren Folgen der Corona Krise abschwĂ€chen:

Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen, wĂ€re ein Grossteil der SelbstĂ€ndig-Arbeitenden besser geschĂŒtzt vor kurzfristigen ArbeitsausfĂ€llen. Nicht nur im Falle einer Pandemie - auch wenn bei allen anderen Krankheiten, oder unvorsehbaren Ereignissen. Eine AbschwĂ€chung des AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnis durch Lohnarbeit verhindert auch, dass Menschen, die krank sind, unbedingt arbeiten gehen mĂŒssen, weil sie sonst ihre Miete nicht bezahlen können. Es verhindert, dass Menschen Arbeitsbedingungen annehmen mĂŒssen, die ausbeuterisch sind.

LĂ€ngerfristig könnte diese finanzielle UnabhĂ€ngigkeit einen entscheidenden Anstoss, fĂŒr die Lösung gesellschaftlicher Probleme sein, die uns seit Jahren beschĂ€ftigen:

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen hat das Potenzial, unser VerstĂ€ndnis von Arbeit neu zu definieren. Wenn Arbeit nicht mehr nur durch den Erhalt eines Lohns definiert wird, kann zum Beispiel Care Arbeit die WĂŒrdigung bekommen7, die sie verdient.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen kann der wachsenden wirtschaftlichen Schere entgegenwirken, weil Kapital immer mehr eine Bedingung wird, um ĂŒberhaupt ĂŒber die Runden zu kommen. Ausserdem brauchen viele wegen der VerĂ€nderung des Arbeitsmarkts eine Weiterbildung8. Auch das kostet Geld.

Und schliesslich kann ein Bedingungsloses Grundeinkommen, eine institutionalisierte SolidaritĂ€t, eine Gesellschaft gerechter machen9. Das GefĂŒhl, in einer ungerechten Gesellschaft zu leben ist einer der GrĂŒnde, warum das Vertrauen in die Regierungen10 (zu Recht!) sinkt. Und was das fĂŒr mittelbare Auswirkungen hat, sehen wir beim Blick in nunmehr jedes europĂ€ische Parlament.

Denn diese Pandemie ist nur die Spitze dessen, was an wirtschaftlicher Unsicherheit auf uns zukommen könnte: Automatisierung und Klimawandel, zwei anders gelagerte Herausforderungen, die das Potenzial haben, unsere Gesellschaft grundlegend zu verÀndern.

Wir brauchen mehr als nur zivilgesellschaftliche SolidaritÀt.

Aber bis der Staat mitzieht, ist sie alles, was wir haben. Und deswegen lancieren wir ein Projekt, damit diejenigen, die SolidaritÀt jetzt schon brauchen, nicht alleine gelassen werden. Finanzielle Umverteilung innerhalb einer Gesellschaft kann funktionieren - zur Not machen wirs halt zivilgesellschaftlich. Mehr Information folgt Ende Woche.

Eine Petition fĂŒr ein Bedingungsloses Grundeinkommen fĂŒr die nĂ€chsten sechs Monate kann man hier11 unterschreiben.

[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/aktuelle-infos-zum-virus-boersen-stuerzen-ab-bevoelkerung-bereitet-sich-vor
[2] https://www.srf.ch/news/schweiz/aktuelle-infos-zum-virus-jetzt-live-der-bundesrat-beschliesst-ausserordentliche-lage
[3]https://www.srf.ch/news/schweiz/aktuelle-infos-zum-virus-boersen-stuerzen-ab-bevoelkerung-bereitet-sich-vor
[4] https://www.republik.ch/2020/03/16/wie-das-coronavirus-die-wirtschaft-trifft
[5] https://www.srf.ch/news/schweiz/coronavirus-pandemie-das-sind-die-massnahmen-des-bundesrates
[6] https://www.srf.ch/news/schweiz/coronavirus-pandemie-das-sind-die-massnahmen-des-bundesrates
[7] https://open.spotify.com/episode/6MDqNVrp4fkJ8mPIdjygQY
[8] https://enorm-magazin.de/gesellschaft/politik/bedingungsloses-grundeinkommen/bedingungsloses-grundeinkommen-fur-alle
[9] https://www.demoshelsinki.fi/en/julkaisut/universalism-in-the-next-era-moving-beyond-redistribution/
[10] https://www.edelman.com/trustbarometer
[11] https://www.change.org/p/bundesrat-bedingungsloses-grundeinkommen-f%C3%BCr-die-schweiz-in-den-n%C3%A4chsten-6-monaten/psf/promote_or_share
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